Wie können wir das Gesundheitssystem heilen?

 


Ein Beitrag unter dem Titel "Patient, Gesundheit – Wie therapiert man ein teures System?" aus dem Zyklus Kontrovers ist am Samstag, dem 6. September 2008 im hr2 gesendet worden. Zwar kann kein Zuhörer erwarten, dass in einer knapp einstündigen Sendung diese Frage beantwortet werden kann, wenn doch schon Generationen von Politikern an einer permanenten Reform des Gesundheitssystems arbeiten und immer noch die oben gestellte Frage nicht einmal im Ansatz lösen konnten.


Ich möchte hier aber anhand der Sendung ein wenig zum Problem der steigenden Kosten im Gesundheitssystem schreiben.


Das Thema betraf also die hohen Kosten der medizinischen Versorgung. Leider ist nicht deutlich gesagt worden, was genau die immer steigenden Kosten verursacht. Wenn das Problem nicht richtig eingekreist wird, kann man schlecht, besonders im Rahmen einer Rundfunksendung, nach Lösungen des Problems suchen. Radiosendungen eines Kultursenders dienen – so verstehe ich den Unterschied zu anderen Programmen – nicht nur der Unterhaltung, sondern sollen auch das Interesse die Zuhörer am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben des Landes wecken und auf der andern Seite die immer wieder die dort präsentierten zündenden Ideen verbreiten. Nichts Ähnliches konnte ich feststellen, denn diese Sendung hat nicht mal eine ordnende Funktion in dem Wirrwarr der geäußerten Gedanken und Ideen erfüllt. Es war vielmehr eine Sendung, die man mit einem Satz beschreiben kann: Gut, dass wir uns getroffen haben und darüber gesprochen haben. ...


Zusammengefasst also, haben die Teilnehmer dieser Sendung ihre Erwartungen an ein funktionierendes Gesundheitssystem benannt (die Mediziner sollen die Patienten behandeln und heilen) und Vermutungen geäußert, warum es nicht möglich ist, diese Erwartung zu erfüllen (teuer, teuer, es wird noch teurer, rief die Kassandra). Darüber hinaus hat die Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, die im Studio anwesend war, den Zuhörern erzählt, was eine Kassenvereinigung so macht und wo sie eben nichts machen oder ändern kann.


Die Einführung für die Sendung, der Internetseite des hr2 entnommen, versprach aber mehr. Ich zitiere:


In wenigen Wochen wird ein Schmerzensschrei durchs Land gehen, weil die Bundesregierung dann ihren Vorschlag für die Anhebung des Beitragssatzes von bisher durchschnittlich 14,02 auf einheitlich mindestens 15,5 Prozent machen wird. Für gesetzlich Versicherte – und das sind rund 90 Prozent der Deutschen – kann das Beitragssprünge von über 40 Euro pro Monat ausmachen. (...)


Der größte Batzen Geld, rund die Hälfte der Kosten, werden für die Behandlung der 2,5 Prozent chronisch und schwer Kranker ausgegeben. Hier – und auch generell – könnte ohne Qualitätsverlust wirtschaftlicher gearbeitet werden. (...) Wie könnte das – im internationalen Vergleich gute, aber teure – deutsche Gesundheitssystem noch besser, sprich: gesünder und preiswerter werden?


Es sind doch sehr konkrete Fragen, auf die es auch konkrete Antworten geben kann. Es gab aber in der Sendung kein Bemühen, einen Versuch zu starten, hier nach einer Lösung, wenn auch nur gedanklich, zu suchen.


Ich kann schlecht etwas zu den ökonomischen Fragen der Klinikführung sagen, ebenfalls die medizinischen Fragen, die Anforderungen einer modernen Medizin betreffend, kann ich weder stellen noch beantworten. Trotzdem habe ich als Patientin, als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse meine Beobachtungen, meine Erfahrungen, meine Argumente zu einem Aspekt des Problems. Meine Argumente sind, objektiv betrachtet, gar nicht einfach von der Hand zu weisen.


Hier geht es mir um die extraorbitant hohe Medikamentenpreise. Auch wenn es mir bewusst ist, dass die unaufhörlich steigenden Medikamentenpreise nicht der einzige Grund für die Insuffizienz des Gesundheitssystems sind, möchte ich bei diesem Thema ein wenig zu verweilen.


Noch kurz zurück zu der erwähnten Sendung: Obwohl in der Einführung auf der Internetseite die Behandlungskosten, besonders der chronisch Kranken als Grund der Teuerung deutlich genannt worden waren, in der Sendung selbst waren sie nur kurz erwähnt: Eine Zuhörerin hat das Thema der hohen Medikamentenkosten angesprochen, von den Moderatoren und den anderen Teilnehmer ist dies aber nicht weiter aufgegriffen worden. Eine erfreuliche Feststellung, gleich einer Zusicherung, kam nur: Die Qualität der Behandlung der chronisch und schwer Kranken wird nicht schlechter; sie darf es nicht.


Kein Gedanke darüber, dass die Behandlung der schwer und chronisch Kranken eventuell doch noch verbessert werden könnte und zugleich die extraorbitanten Kosten gesenkt werden könnten. Das Thema der hohen Kosten scheint nicht dazu zu sein, nach Lösungen zu suchen, sondern nur um Verunsicherung bei den Zuhörern, bei den Patienten zu erzeugen.


Was lässt die Kosten für die Behandlung der schwer und chronisch Kranken in die schwindelerregenden Höhen schnellen?


Für jeden ist verständlich, dass chronisch- und schwerstkranke Menschen häufig zum Arzt bestellt werden, dass bei ihnen besonders oft verschiedene bildgebende Diagnoseverfahren notwendig sind, dass diese Patienten oft stationär behandelt werden müssen, dass operative Eingriffe unumgänglich  werden und dass nicht zuletzt viele Medikamente auf Dauer eingenommen werden müssen. Allein das Letztgenannte ist die Ursache dafür, dass zeitlebens  die Krankheitskosten auf einem hohen Niveau bleiben.


Die Forschung nach modernen Medikamenten ist kostenintensiv, das ist eine triviale Feststellung. Dazu kommen die Kosten der Patente auf die Formeln der Substanzen. Das erklärt aber nur zum Teil die Preise der Medikamente.


Nicht zu erklären ist damit aber der Umstand, dass diese sehr hohen Preise weiter auf dem gleichen Niveau bleiben oder nur geringfügig gesenkt werden auch dann, wenn ein Mittel viele Jahre auf dem Markt ist und auch dann nicht gesenkt werden, wenn sich herausstellt, dass das Medikament die versprochene Wirkung verfehlt, oder gar der Gesundheit nicht zuträglich ist.

Ich möchte hier einige Beispiele aus der Krebstherapie aufgreifen.


Es scheint unumstößlich zu sein, dass zu einer modernen Primärtherapie bei Brustkrebs die Behandlung mit den Zytostatika gehört. Zum Standard gehört die Chemotherapie mit Anthrazyklinen, die das etablierte und kostengünstige Therapie-Regime CMF verdrängt hat. In den Empfehlungen des St. Gallener Kongresses aber ist schon vor Jahren die Rede davon gewesen, dass die alte, preisgünstige CMF-Chemotherapie auf eine bestimmten Weise angewandt, statistisch ausgedrückt, den anderen Regimes nicht unterlegen ist. Nach einigen Jahren hat sich herausgestellt, dass Anthrazykline nur bei einer kleinen Gruppe der Erkrankten wirken können, und zwar wenn bestimmte molekularbiologische Voraussetzungen in der Tumorzelle erfüllt sind. Das ist aber nur bei etwa 7 Prozent der Therapierten der Fall! Alle anderen Patientinnen werden umsonst behandelt, dürfen nur Nebenwirkungen und Spätfolgen genießen.


Trotz der Erkenntnisse wird mit diesem Zytostatikum weiter behandelt, denn es dauert anscheinend sehr lange, bis sich wissenschaftliche Erkenntnisse in den Leitlinien niederschlagen. Mehr noch, neue Zytostatika erobern den Markt: Taxane. Das bedeutet aber nicht, dass Anthrazykline jetzt weniger empfohlen werden, nein, Taxane kommen aber vermehrt dazu. Somit wird für 93 Prozent der chemotherapierten Frauen kein gesundheitlicher Nutzen festgestellt und somit sehr viel Geld für die sehr teuren Mittel ausgegeben. Die Patientinnen kennen diese Zahlen; jede hofft aber zu den 7 Prozent zu gehören, die von der  Chemotherapie geheilt werden.


Es ist aber nicht so, dass es keine Möglichkeiten gibt, diese Patientinnen aus dem Kollektiv der Erkrankten herausschälen, die tatsächlich einen großen Nutzen von der teuren Behandlung haben könnten. Seit Jahren wird an den Universitäten geforscht, wie mithilfe molekularbiologischer Untersuchungen an dem Tumorgewebe festzustellen ist, welche Patientinnen eine Behandlung mit Zytostatika brauchen. Hier ein Beispiel:


Unter den so genannten neuen Prognosefaktoren bei Brustkrebs sind Enzyme, die, je nach dem in welcher Anzahl sie in der Krebszelle gefunden werden, mit großer Genauigkeit etwas darüber aussagen, ob der Primärtumor Tochtergeschwülste (Metastasen) bilden wird. Damit der Vorgang der Metastasierung gestartet werden kann, müssen also bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Die Prozesse sind sehr komplex und kompliziert, man hat jedoch herausgefunden, dass das Vorhandensein von bestimmten Enzymen über die Fähigkeit der Krebszellen, sich vom Zellverband zu lösen, mit Lymph- oder Blutstrom zu wandern und in entfernten Organen anzudocken und somit Metastasen zu bilden, aussagt. Bei der pathologischen Untersuchung des Tumors muss man nur nach den Enzymen suchen. Bei einem bestimmten Wert steht fest, dass der Tumor mit größter Wahrscheinlichkeit metastasieren wird. Bei einem niedrigen Wert ist davon auszugehen, dass es zu dieser Entwicklung nicht kommen wird.


Aufgrund dieser Untersuchung könnte man 70 Prozent der Frauen, denen eine Chemotherapie heute empfohlen wird, diese Behandlung ersparen und damit nicht nur die Neben- und Folgewirkungen vermeiden aber auch die hohen Kosten einsparen.


Ein anderes Beispiel: Das bekannte Krebsmedikament, Herceptin, wird dann empfohlen, wenn die Tumorzellen einen bestimmten Gen amplifizieren. Diese Amplifikation korreliert mit einer verschlechterten Prognose. Herceptin, mit großer Hoffnung von den betroffenen Frauen begrüßt, wird seit einigen Jahren angeboten, anfangs nur bei metastasierenden Tumoren, später, nach Feststellung der positiven Wirkung in der metastasierten Situation, auch in der Primärbehandlung. Nach Jahren stellt sich aber heraus, dass Herceptin (nur?) bei etwa 2,5 Prozent der Therapierten Erfolg hat, was konkret bedeutet, die ereignisfreie Zeit wird verlängert. Weil man es nicht herausfinden kann, welchen Frauen diese Therapie die längere Zeit ohne das Fortschreiten der Krankheit schenkt, bekommen alle dazu infrage kommenden Patientinnen diese Behandlung. In der heutigen Situation ist es auch richtig so, weil man doch keine erfolgsversprechende Therapie krebskranken Menschen vorenthalten kann. Jedoch bei diesen dürftigen Ergebnissen der Studien scheint mir der überhöhte Preis auf gar keinen Fall angemessen zu sein. Diese enttäuschenden Ergebnisse der Studien sorgen auch bei den Krebsspezialisten, die dieses Medikament vor Jahren euphorisch begrüßt haben, für vorsichtige und zurückhaltende Äußerungen. Nichtsdestoweniger ist dieses Medikament etabliert, gehört berechtigt zum Standard. Dagegen ist nichts einzuwenden, wobei der Preis der Behandlung, etwa 40 000 Euro im Jahr, absolut nicht gerechtfertigt ist. Er wird aber weiter verlangt und von den Krankenkassen bezahlt.


Das sind nur wenige ausgesuchte Beispiele. Keinesfalls bin ich eine Gegnerin von Pharmaforschung! Im Gegenteil, ich bin froh, dass die Wirtschaft, die am finanziellen Erfolg interessiert ist, diese Forschung betreibt, wenn der Staat nicht interessiert ist oder kein Geld hat. Die hohen Preise kann ich auch im ersten Zeitraum nach der Markteinführung gut nachvollziehen. Was ich aber nicht mehr verstehen kann, ist die Tatsache, dass sich so hohe Preise noch viele weitere Jahre halten können, auch dann, wenn feststeht, dass ein Medikament nicht das hält, was er einst versprochen hat.


Die eingangs gestellte Frage: Wie könnte das – im internationalen Vergleich gute, aber teure - deutsche Gesundheitssystem noch besser, sprich: gesünder und preiswerter werden? habe ich versucht im Ansatz in diesem Beitrag zu beantworten. Ich möchte es in zwei Sätzen zusammenfassen:


Sowohl „gesünder“ als auch wesentlich preiswerter wird unser Gesundheitssystem dann, wenn sich die Preisgestaltung bei den Medikamenten tatsächlich an die alten Regeln der Ökonomie hielte: Die Nachfrage und der reelle Wert der Ware bestimmen den Preis. Auf dem Markt der Medikamente ist es leider aber zum Teil so, dass zu dem reellem Wert der ideelle dazu kommt: Es wird mit der chemischen Zubereitung auch die Hoffnung, besser gesagt: die Versprechung der Heilung, teuer verkauft...



Copyright © Therese Kosowski. Alle Rechte vorbehalten. | Kontakt & Impressum | Themen-Seiten | Blog | Bildergalerie

September 2008